Konrad Paul Liessmann. Ausdruck höchster Konzentration

Anmerkungen zu den “Holzplatten” von Renate Egger

Konzentration ist auch die zentrale Kategorie, mit der man sich Renate Eggers „Holzplatten“ nähern könnte. Einfache Platten, wie sie auch als Reißbretter Verwendung finden, werden zum Gegenstand des ästhetischen Interesses und der künstlerischen Intervention. Diese allerdings ist durch eine äußerste Zurückhaltung gekennzeichnet, man wäre fast versucht zu sagen, von einer tiefen Achtung vor dem Objekt. Die Strukturen des Holzes, die Maserung seiner Oberfläche, der Wechsel von hellen und dunklen Linien sind mehr als nur Material eines gestaltenden Prozesses. Sie sind, durch den selektierenden und bannenden Blick der Künstlerin selbst schon Objekte reiner Anschauung, aller Funktion enthoben, allein auf sich und ihre Erscheinung gestellt. Deshalb ist es auch möglich, dass auch eine völlig unbearbeitete Platte den Blicken der Betrachter preisgegeben werden kann. Dass sie ausgewählt wurde, erlaubt es, sich ihrer Form, ihrer Schönheit, ihrem Dasein zu überlassen, das in dem Maße nicht mehr natürlich ist, als es Resultat eines suchenden Blicks, einer imaginativen Versenkung, einer aus Konzentration und Kontemplation getroffenen Wahl ist. Andererseits gibt aber genau diese Auswahl der Holzplatte, die ja Resultat eines industriellen Produktionsvorgangs ist, ihr natürliches Eigenrecht: Holz zu sein, tendenziell zurück.

Dort, wo die Künstlerin Hand an das Holz legt, ist dieser Akt von äußerster Sparsamkeit. Einige Maserung werden nachgezeichnet, markante Punkte in der Holzstruktur zu einem zarten Dreieck zusammengefasst, durch wenige Striche kann die Erinnerung an eine Landschaft, ein Gebirge, eine Schlucht, einen Horizont geweckt werden. Die Holzplatte wird zu einem kleinen Universum der Phantasie. Dort aber, wo ein Nagel, ein Bildaufhänger, in das Holz getrieben wird, erscheint dies schon fast als ein gewaltsamer Eingriff, der eine schmerzhafte Spannung zwischen der unschuldigen Glätte des Holzes und der Schärfe des Metalls provoziert. Gerade weil zuvor die Zartheit und Eigengestalt der Holzplatte, die Schönheit ihrer Oberfläche erfahren wurde, kann ein kleiner Nagel, der an der Rückseite eines Bildes funktional ist und nie stört, als Verletzung spürbar werden.

In solch minimalen Interventionen, kleinsten Akten der schöpferischen Formung, kann nicht nur etwas über die Struktur eines Holzes erkannt werden, sondern öffnet sich, überlässt man sich einer sinnenden Betrachtung, ein Bedeutungsraum, der als Ausgangspunkt, Projektionsfläche und Erfüllung subjektiver Assoziationswelten dient. Auch und gerade an den auf den ersten Blick wenig spektakulären Holzplatten, die nichts mit dem provokant-auftrumpfenden Gestus von Ready-mades oder Objets trouvés gemein haben, verdichtet und verdeutlicht sich ein entscheidendes Moment aller Kunst: dass diese der Welt einen Spiegel nicht höhnisch vorhält, sondern lediglich anbietet. Sehen muss dann aber jeder ganz alleine.

Konrad Paul Liessmann, Philosoph. Vienna 1995

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